Im November hatte ich die besondere Gelegenheit, in ein kleines Dorf der Provinz Manisa nahe Izmir zu reisen und dort einen türkischen Olivenbauern und seine Familie während der traditionellen Olivenernte zu begleiten. Diese Reise bot nicht nur einen tiefen Einblick in die jahrhundertealte Kultur der Olivenernte, sondern auch in das harte, aber nachhaltige Leben auf einem Olivenhof. Zugleich betrachtete ich die Abläufe unter Lean-Aspekten, was spannende Parallelen und Potenziale aufzeigte.
Einblicke in das Leben eines Olivenbauern
Der 74-jährige Bauer, den ich begleitete, lebt mit seiner Frau in einem kleinen Dorf. Sein Besitz umfasst beeindruckende 40 Hektar Olivenbäume, von denen einige über 80 Jahre alt sind. Ein Teil des Landes wurde ihm von seinem Vater vererbt, den größeren Teil hat er mit eigenen Händen bepflanzt. Die Erntezeit im November ist der wichtigste Zeitraum des Jahres. Vier bis sechs Wochen lang arbeitet die ganze Familie, oft unterstützt von Erntehelfern, täglich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.
Doch dieses Jahr war die Lage besonders schwierig: Seit März hatte es nicht mehr geregnet, und die Wasserknappheit war enorm. Die Bäume litten unter der Dürre, und die Ernte fiel mager aus. Diese Umstände haben die ohnehin harte Arbeit der Bauern noch herausfordernder gemacht. Dennoch begegneten sie der Situation mit einer bemerkenswerten Ruhe und dem festen Zusammenhalt der Gemeinschaft.
Die Arbeit beginnt mit dem Spannen von Netzen unter den Bäumen, um die gepflückten Oliven aufzufangen. Anschließend werden die Oliven mit kleinen Plastikrechen von den Ästen gelöst – eine mühsame Arbeit, die etwa eine Stunde pro Baum in Anspruch nimmt. Die Felder sind teils hügelig, was den Einsatz von Leitern erschwert und zu einer zusätzlichen Herausforderung macht. Sobald die Oliven geerntet sind, werden sie in große Körbe gefüllt, die jeweils etwa 20 Kilogramm fassen. Diese werden später mit einem Traktor in das Dorf transportiert.
Trotz der harten Arbeit ist die Stimmung auf den Feldern friedlich und familiär. Regelmäßig wird am Feuer gekocht, gemeinsam gegessen und Tee getrunken – alles nach traditioneller Art, sitzend auf dem Boden. Dieses Ritual stärkt den Zusammenhalt der Familie und der Helfer.
Von der traditionellen Olivenernte zu modernen Prozessen der Olivenölproduktion
Sobald etwa eine Tonne Oliven traditionell geerntet ist, bringt der Bauer sie in die nahegelegene Olivenpressfabrik, die während der Erntezeit rund um die Uhr arbeitet. Nach oft stundenlanger Wartezeit, die von Gesprächen mit anderen Bauern und der einen oder anderen Tasse Tee geprägt ist, beginnt der moderne Verarbeitungsprozess:
Reinigung: Die Oliven werden in einen Trichter geschüttet, wo grobe Verunreinigungen wie Blätter durch Gebläse entfernt werden. Diese Blätter werden später als Tierfutter verwendet.
Waschen: Die Oliven werden gereinigt, bevor sie in Mahlwerke gelangen.
Mahlen: Bei etwa 30 Grad Celsius werden die Oliven gemahlen, bis eine breiige Konsistenz entsteht.
Trennung: Das entstandene Olivenmus wird in Abscheider transportiert, wo das wertvolle Öl von der Masse getrennt und mehrfach gefiltert wird. Das Olivenöl wird in 50-Liter-Behälter abgefüllt.
Weiterverarbeitung der Rückstände: Die übriggebliebene Masse wird nicht entsorgt, sondern weiterverwertet. Die Olivenkerne werden zu Heizpellets verarbeitet, und die restliche Masse dient der Herstellung hochwertiger Kosmetik- und Medizinprodukte.
Lean-Aspekte und Nachhaltigkeit
Die modernen Prozesse bei der traditionellen Olivenernte und -verarbeitung beeindrucken durch ihre nachhaltige Nutzung aller Ressourcen. Jeder Teil der Olive wird verwertet – vom Öl über die Kerne bis hin zu den Blättern. Es entsteht kein Abfall, was ein Schlüsselprinzip des Lean Managements widerspiegelt: Verschwendung vermeiden und Ressourcen optimal nutzen.
Allerdings gibt es Potenziale zur Prozessoptimierung. So könnten zum Beispiel ergonomischere Werkzeuge und sicherere Leitern die Arbeit erleichtern und das Unfallrisiko senken. Auch die Logistik zwischen den Feldern und der Fabrik könnte durch bessere Planung effizienter gestaltet werden. Während meiner Zeit dort konnte ich gemeinsam mit dem Bauern kleinere Verbesserungen umsetzen, etwa bei der Organisation der Arbeitsmaterialien oder der Abläufe bei der Ernte.
Persönliche Eindrücke und Fazit
Diese Lean Expedition war für mich eine einzigartige Erfahrung. Ich durfte nicht nur die Geheimnisse der traditionellen Olivenernte und -verarbeitung kennenlernen, sondern auch die Herzlichkeit und Gemeinschaft der Bauern erleben. Die Arbeit ist körperlich extrem anstrengend, doch die Bauern wirken zufrieden und in ihrer Lebensweise verwurzelt.
Die nachhaltige und respektvolle Nutzung der Natur, kombiniert mit dem Gemeinschaftsgeist und der traditionellen Handarbeit, hat mich tief beeindruckt. Gleichzeitig zeigt die Olivenernte, dass auch in scheinbar etablierten Prozessen immer Raum für Verbesserungen und Effizienzsteigerungen besteht – ganz im Sinne des Lean Managements.
Diese Reise hat mich gelehrt, dass Lean-Prinzipien nicht nur in industriellen Kontexten, sondern auch in der Landwirtschaft eine Bereicherung sein können – vor allem, wenn sie mit Respekt für Tradition und Umwelt umgesetzt werden.
Haben Sie Interesse an weiteren Einblicken oder möchten erfahren, wie Lean Management auch in Ihrem Unternehmen zur Nachhaltigkeit und Effizienz beitragen kann? Kontaktieren Sie mich gerne!
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